Sarnelli House

Nach einer wirklich kurzen Nacht packen wir schnell die Rucksäcke und machen uns mit müden Augen auf den Weg zur Rezeption. Die beiden Nachtportiers sind beim Auschecken wieder ganz aufgeregt und stehen sich irgendwie gegenseitig im Weg…manchmal hilft es, wenn A weiß was B gerade tut J Zehn Minuten später sitzen wir dann um 5:15 im Taxi. Der Fahrer ist nicht der Schnellste und rein was seine Fahrkünste angeht offensichtlich auch nicht der Erfahrenste. So tuckern wir im Linksverkehr auf der Autobahn Richtung Flughafen und werden von allem überholt was Räder hat. Bis jetzt nehme ich das schmunzelnd hin…als dann aber in Sichtweite des Flughafens das GROßE blaue Schild mit der 2-sprachigen Aufschrift „Passengers Terminal“ an mir vorbei zieht und wir nicht abbiegen, werde ich nervös. Thommy dagegen regt sich bereits seit einer dreiviertel Stunde über den Fahrstil des Herren auf und so landen wir dann an einem Flughafen Gebäude weit entfernt von der Abflughalle. Hier sollen wir allen Ernstes aussteigen, der gute Mann scheint überzeugt davon zu sein, uns am richtigen Ort abgeliefert zu haben. Vehement protestieren wir – es ist mittlerweile kurz vor 6 (der Flug geht um 7:30) – doch leider versackt unsere englische Beschwerde im Nichts. Stattdessen schlendert Mr. Taxi zu einem der Offiziellen vor Ort und nach einigem Gestikulieren scheint er zu wissen wo es lang geht und fährt wieder los. Das Taximeter läuft…und die Uhr auch! Wir versuchen ihm mit Händen und Füßen klar zu machen, wie er zu fahren hat, werden aber leider ignoriert und biegen erneut falsch ab. Jetzt reicht’s mit Freundlichkeit! Der Herr steigt wieder aus und holt sich eine weitere Wegbeschreibung ab und jetzt sitzt Thommy gefühlt auf dem Beifahrersitz und dirigiert in einem Tonfall, den Mr. Taxi nicht mehr ignorieren kann. Schließlich landen wir um einige graue Haare reicher an der Abflughalle und sehen beim besten Willen nicht ein, weshalb wir den Aufpreis für die Irrfahrt auch noch bezahlen sollen. Trotz vehementer Proteste des Fahrers zahlen wir den vollen Preis nicht und machen uns stattdessen ENDLICH auf zum Check in. Unfassbar, dass ein Taxifahrer den Weg zum internationalen Flughafen Bangkok nicht kennt und dann auch noch für seine Irrungen und Wirrungen bezahlt werden möchte. Noch nicht mal eine Stunde wach und das erste „Highlight“ schon erlebt…der Rest der Weiterreise geht zum Glück ohne größere Probleme über die Bühne. Pünktlich um 8:20 landen wir schließlich in Udon Thani. Wir sind beide aufgeregt. Father Mike, der das Kinderheim betreut, will uns eines der älteren Kinder zum Abholen schicken. Und schon als wir durch den Ausgang durch sind, sehen wir Boy mit einem Schild „Sarnelli House“. Freundlich werden wir begrüßt und mit samt Gepäck in einen Mini Van verladen. Die Fahrt zum Kinderheim dauert ca. 1 Stunde und aufgeregt sind wir immer noch. Kurz vor Nong Khai biegt der Fahrer dann in die Pampa ab. Herrliche Landschaft bekommen wir zu sehen. Reisfelder, Seen mit Bambushütten und Fischereianlagen. Blühende Sträucher und ein nicht zu heißes Klima. Und dann sind wir da. Kate, die australische Krankenschwester nimmt uns herzlich in Empfang, während Boy unser Gepäck in Zimmer 3 verstaut. Die Köchin Pida hat bereits ein Frühstück vorbereitet und noch während wir unser Spiegelei mit Toast verzehren, kommt Father Mike dazu. Ein 76jähriger Priester aus Wisconsin, der nun seit fast 48 Jahren in Thailand lebt und dieses Kinderheim mit ins Leben gerufen hat. Ein sympathischer Mann, solide, ehrlich, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er berichtet wie alles begonnen hat und wie viele Kinder hier leben. Die Geschichten treffen uns mitten ins Herz, die meisten Kinder hier sind HIV positiv. Andere sind Aids-Waisen, die von ihren Verwandten verstoßen wurden und keine Bleibe mehr haben. Wieder andere – vor allem Mädchen – wurden mißbraucht und schließlich dem Kinderheim vom Gericht zu gesprochen. Schicksale, die unter die Haut gehen, die betroffen und wütend zugleich machen. Mit diesem Wissen werden wir gegen 11 Uhr von Kate abgeholt. Wir laufen das kleine Stück von unserem Zimmer zum Sarnelli Haus. Heute ist Sonntag und ein Sponsor aus der Stadt hat das heutige Mittagessen spendiert. Alle Kinder sind im großen Gemeinschaftshaus. Die ganz Kleinen und die Teenies. Musik spielt und eine ganze Horde ausgelassener Kinder tanzt auf der Bühne. Es dauert nur Minuten, bevor vor allem die Kleinsten auf uns zu stürmen. Ohne Angst und Vorbehalte packen sie uns an der Hand und wollen auf den Arm. Sie kuscheln sich an unsere Brust, nehmen unsere Hände, um ihr Gesicht hinein zu schmiegen. Ich bin absolut emotional überwältigt von der Reaktion der Kinder. Diese kleinen Menschen hier sehnen sich nach Zuneigung und Geborgenheit und fordern diese auf so simple Art und Weise ein, dass es mir weh tut. Wir essen gemeinsam und anschließend spielen wir mit Einigen auf einem schlichten Spielplatz im Dreck. Vor kurzem hat jemand eine neue Schaukel gespendet und ich komme nicht hinterher, alle 4 Kinder anzustoßen. Dann haben wir eine Stunde Zeit, bevor Kate uns zu den anderen Unterkünften bringt. Mittlerweile hat sich Father Chuck zu uns gesellt, der alte Herr mit seinen jugendlichen 81 Jahren ist jeden Winter für 3 Monate hier. Wenn er erzählt, bekommt er feuchte Augen und man spürt, wie sehr ihm die Kinder am Herzen liegen. Zu viert brechen wir schließlich auf zu den jugendlichen Mädels im „Nazareth House“. Ein Haufen 14-18 Jähriger, die uns herzlich empfangen. Wir spielen in der Nachmittagssonne Frisbee. Keine Ahnung wann ich das zum letzten Mal gemacht habe!? Wir lachen und werfen was das Zeug hält und mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie viel Spaß die Mädels haben. Eine von ihnen möchte unbedingt ein Foto von mir…und auch beim Mittagessen hat sie schon eins gemacht. Sie fragt, wann wir wieder fahren und antworten möchte ich gar nicht. Dann ziehen wir weiter zum „House of Hope“. Hier leben die ganz Kleinen. Die jüngste Bewohnerin ist zarte 3 Wochen, die ältesten Kinder 4 Jahre. Ein wild gewordener Haufen Energiebündel. Hier spüre ich besonders, wie sehr die Kinder darunter leiden, dass es nur wenige Bezugspersonen für sie gibt. Während ich eines links und eines rechts auf dem Arm habe, zupft ein kleiner Junge von hinten an meiner Hose. Ich weiß nicht, wie ich all dem gerecht werden soll. Es berührt mich zutiefst und gleichzeitig bin ich schockiert, als ich sehe, dass schon die ganz Kleinen wortwörtlich mit Hand und Fuß um die Aufmerksamkeit kämpfen und sich gegenseitig weh tun, um auch auf den Arm zu dürfen. Diese Situation macht mir so zu schaffen, dass ich irgendwie erleichtert bin, als wir das „House of Hope“ verlassen. Und ich wünsche mir nichts mehr, als dass dieser vielversprechende Name den Kindern eine Zukunft schenkt. Unsere letzte Station sind die Mädels im Schulkindalter im „Jan and Oscar House“. Auch hier gleicht der Empfang einem Sturm. Wir spielen Basketball und Volleyball und dann sitzen wir einfach und knuddeln uns ein bisschen. Obwohl die Kleinen meine Sprache nicht verstehen, sind wir uns irgendwie nah auch ohne große Worte. Und dann ist der Abend da und wir brechen auf zu unserem „Charlene House“, um mit Father Mike und den anderen Priestern zu Abend zu essen. Pida hat ein köstliches vietnamesisches (ausnahmsweise, da einer der Gastpriester aus Vietnam kommt) Mal zubereitet und in geselliger Runde am großen Tisch sprechen wir über dies und das und lassen den Tag ausklingen. So wie ich hier sitze bin ich heute im emotionalen Chaos. Es ist zutiefst berührend und schmerzlich, was wir hier heute erfahren haben. Und es kostet mich zugegebenermaßen einiges an Kraft, dem standzuhalten. Bis zum Ende der Woche wollen wir bleiben und den Kids ein bisschen von dem geben, was Ihnen fehlt und uns möglich ist. In diesem Sinne auch heute eine gute Nacht aus dem Sarnelli House in Thailand!

Der Gruß des Tages geht heute an all die Menschen hier, die den Kindern ein Zuhause schenken und sich so liebevoll um ihr Wohlbefinden kümmern!

Zitat des Tages: (Father Chuck) „ When I was born, I had parents, who were full of love for me, those kids here experienced just the opposite…“

http://sarnelliorphanage.org/

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Kommentare: 1
  • #1

    Sonja & Herbert (Sonntag, 16 November 2014 21:07)

    Was für ein toller Bericht - wir sind genauso gerührt wie Ihr!!!! Ja das sind außergewöhnliche Menschen und Kinder im Sarnelli House.....gerade wir, die wir alles haben, sollten hier mal reinschauen und mittendrin sein. Wir sind total gespannt auf den nächsten Blog - lasst es Euch gutgehen und drückt uns alle ganz fest!!!

    Sonja & Herbert